(Bildquelle: imago/Rüdiger Wölk)
Kleidung, Decken, Matratzen und Schulunterricht – die Welthungerhilfe müht sich, das Leid der Syrien-Flüchtlinge zumindest ein wenig zu mildern. Im Interview erklärt Bärbel Dieckmann, Präsidentin der Hilfsorganisation, warum das so schwierig ist.
Frau Dieckmann, der Bürgerkrieg in Syrien dauert nun seit vier Jahren an. Wie schätzen Sie die Lage ein?
Das besonders dramatische an der Situation in Syrien ist zum einen, dass 12 Millionen Menschen – bei einer Landesbevölkerung von rund 22 Millionen – auf der Flucht sind. Zum anderen ist die Lage deshalb so verzweifelt, weil es keinen Ansatz einer Lösung gibt. Was mich aber am meisten schockiert an den Berichten unserer Mitarbeiter in der Region ist die völlige Hoffnungslosigkeit der Syrer. Viele von ihnen haben vor Ausbruch des Bürgerkrieges ein normales Leben geführt, es gab ein funktionierendes Gesundheits- und Bildungswesen, sie litten keinen Hunger.
US-Außenminister Kerry hat erwogen, wieder Gespräche mit dem syrischen Präsidenten Assad zu führen, was sofort dementiert wurde. Auch Außenminister Steinmeier schließt solche Kontakte nicht mehr aus. Wäre das ein Ansatz?
Wir sind als Hilfsorganisation zurückhaltend mit politischen Kommentaren, aber es ist ganz offensichtlich so, dass dieser Konflikt militärisch nicht lösbar ist. Mein Appell an die internationale Gemeinschaft ist es, Kontakte zu allen Parteien in Syrien aufzunehmen und mit allen zu reden – im Interesse der Menschen in den Flüchtlingslagern und der noch im Land lebenden Syrer. Unerlässlich dabei wäre auch eine enge Absprache mit den Nachbarländern, die alle von dieser Krise betroffen und zum Teil auch darin involviert sind. Denn es handelt sich um einen geopolitischen Konflikt mit vielen Beteiligten, die auch ihre eigenen Interessen verfolgen, denen es nicht um Syrien und die Syrer geht.
Welche Informationen haben sie über die Situation der Flüchtlinge inner- und außerhalb des Landes?
Wir arbeiten in der Nähe von Aleppo und die Bilder aus dieser Stadt und anderen Orten in Syrien ähneln denen der zerstörten Städte in Deutschland nach dem 2. Weltkrieg. Die Menschen dort haben aber nicht nur ihre Häuser verloren, sondern auch ihre Arbeit und ihre Einkommensgrundlage. Bisher konnte die größte Not dadurch abgewandt werden, dass sich Familien und Nachbarn halfen. Aber es sind weder Aussaat noch Ernte möglich und wenn es keine Nothilfe gäbe, dann gäbe es eine Hungersnot, gerade jetzt zum Ende des Winters. Die Grundversorgung in den Flüchtlingslagern ist halbwegs gesichert, ob in der Türkei, im Libanon, in Jordanien. Aber die Menschen leben in Zelten oder Verschlägen, zum Teil auch in Bauruinen unter schwierigsten Bedingungen.
Erreichen Hilfsorganisationen die Flüchtlinge im Innern des Landes?
Das wird immer schwieriger. Die Welthungerhilfe arbeitet in Syrien nur in Regionen, die von den lokalen Hilfsorganisationen, mit denen wir kooperieren, über relativ sichere Transportwege zu erreichen sind. Aber die Lage kann sich auch dort plötzlich verschlechtern. Aus den Gebieten, die vom IS beherrscht werden, erhalten wir nur indirekt Nachricht. Angeblich soll der IS dort zumindest die Grundversorgung sichern.
Was tut die Welthungerhilfe in den Lagern?
Wir unterstützen vor allem die Flüchtlinge, die keinen Platz in den Lagern gefunden haben, und in der Türkei etwa ist dies die überwiegende Mehrheit. Wir lieferten warme Kleidung, Decken und Matratzen als Winterhilfe. Vor allem aber konzentrieren wir uns auf die Bildung. Wir finanzieren Schulen, unter den Flüchtlingen gibt es viele gut ausgebildete Lehrer. Die Kinder sind so einige Stunden am Tag beschäftigt, sie erhalten Mahlzeiten und sie lernen für ihre Zukunft, so düster die jetzt auch noch scheint. Im Nordirak nutzen wir Gebäude, die nicht fertiggestellt wurden, um dort Notunterkünfte einzurichten.
Die Spendenbereitschaft der Deutschen für Syrien war nie besonders groß. Wie ist das jetzt?
Im Falle von Naturkatastrophen, zum Beispiel nach dem Erdbeben auf Haiti, der Flut in Pakistan, dem Tsunami in Sri Lanka, wird sehr viel gespendet. Inzwischen spenden die Menschen auch für Syrien. Allein bei der von Bundestagsvizepräsidentin Roth initiierten Hilfe sind über 400 000 Euro gespendet worden.
Die Spender bei Naturkatastrophen wissen, dass das Geld zur Verbesserung der Situation eingesetzt wird und langfristig auch Erfolge zu sehen sind. In Syrien aber herrscht Krieg, dessen Ende nicht abzusehen ist. Da fehlen Spendern einfach die langfristigen Perspektiven. Eine solche Situation haben wir in Afghanistan nicht gehabt, auch nicht in Pakistan. Es war immer die Hoffnung da, dass man die Situation verbessern kann.