Schlagwort-Archive: Türkei

Moskau und Ankara rücken in Syrien zusammen

Die Allianz wird enger: Obwohl Russland und die Türkei im syrischen Bürgerkrieg verschiedene Ziele verfolgen, betonen sie ihre Gemeinsamkeiten. Damaskus wird derweil von Explosionen erschüttert.

Die Streitkräfte Russlands und der Türkei wollen sich künftig bei Luftangriffen auf Dschihadistengruppen in Syrien abstimmen. Ein in Moskau unterzeichnetes Abkommen ziele darauf ab, „Zwischenfälle zu verhindern, wenn Flugzeuge und unbemannte Flugkörper im syrischen Luftraum sind“, erklärte das russische Außenministerium. In dem Papier gehe es um Luftangriffe auf „terroristische Ziele“. Es lege Mechanismen zur Koordinierung und Zusammenarbeit der Luftwaffen beider Länder fest.
Moskau und Ankara rücken in Syrien zusammen weiterlesen

Türkei: Zeitgleiche Explosionen vor Büros der türkischen Kurdenpartei

(Bildquelle: AFP)

Gab es einen Anschlag auf die türkische Kurdenpartei HDP? In zwei Büros der Partei, in Mersin und Adana, soll es zeitgleich Explosionen gegeben haben. Die Hintergründe sind noch unklar.

Istanbul – Vor zwei Büros der türkischen Kurdenpartei HDP im Süden der Türkei haben sich am Montag zeitgleich Explosionen ereignet.

Wie die Online-Ausgabe der Zeitung „Hürriyet“ meldete, wurden bei den Vorfällen in Mersin und in Adana mehrere Menschen verletzt. Ob es sich um Unfälle oder Anschläge handelte, war zunächst nicht bekannt. In Mersin war für den Nachmittag ein Wahlkampfauftritt von HDP-Chef Selahattin Demirtas vor der Parlamentswahl am 7. Juni geplant.

Nicht der erste Angriff?

Die HDP hatte in den vergangenen Wochen mehrmals über Angriffe auf Wahlbüros und Mitarbeiter geklagt. Bei der Wahl am 7. Juni spielt die HDP, die laut Umfragen um die zehn Prozent der Wählerstimmen liegt, eine Schlüsselrolle.

Wenn die Partei den Sprung über die Zehnprozent-Hürde ins Parlament von Ankara schafft, sinken die Chancen für die islamisch-konservative Regierungspartei AKP, in der neuen Volksvertretung eine Mehrheit für Verfassungsänderungen zu erreichen.

Weiterlesen…

kölnerstadtanzeigerbanner

EU und Türkei erweitern 20 Jahre alte Zollunion

(Bildquelle: EC)

Die EU und die Türkei haben sich auf eine Ausweitung ihrer vor 20 Jahren gegründeten Zollunion geeinigt. Ankara ist besorgt, durch das geplante Freihandelsabkommen TTIP weiter ins Abseits gedrängt zu werden.

EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström und der türkische Wirtschaftsminister Nihat Zeybekci vereinbarten am Dienstag einen Fahrplan, um Dienstleistungen, öffentliche Ausschreibungen und die meisten landwirtschaftlichen Produkte einzubeziehen. Brüssel sei entschlossen, die Zollunion „ins 21. Jahrhundert zu führen“, sagte Malmström.

Die Zollunion war 1995 als Vorbereitung der türkischen Bewerbung um eine EU-Mitgliedschaft aus der Taufe gehoben worden. Zehn Jahre später starteten dann die Beitrittsverhandlungen, die seit Jahren auf der Stelle treten.

Ankara ist nun besorgt, durch das geplante Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA (TTIP) weiter ins Abseits gedrängt zu werden.

„Die Türkei würde gern in der Liga der globalen Wirtschaftsmächte spielen“, sagte Zeybekci. „Deshalb würden wir gern beim TTIP-Prozess mitmachen.“ Diesen Wunsch erfüllt Brüssel den Türken allerdings nicht. Malmström sagte aber zu, Ankara über die jeweiligen Etappen zu informieren.

euractivbanner

Türkei: In Sachen Erdogan – Ermittler sind gefeuert

(Bildquelle: picture-alliance/dpa/Tolga Bozoglu)

Vier Staatsanwälte und ein Richter hatten vor knapp anderthalb Jahren in der Türkei gegen Politiker und Geschäftsfreunde von Präsident Erdogan ermittelt. Nun sind alle ihre Posten los.

Der Hohe Rat der Richter und Staatsanwälte (HSYK) hat entschieden, den Richter Süleyman Karacöl sowie die Staatsanwälte Zekeriya Öz, Celal Kara, Muammer Akkas und Mehmet Yüzgec zu entlassen. Als Grund nennt der Rat laut der türkischen Nachrichtenagentur Anadolu die „Untergrabung der Ehre ihres Berufsstandes“ und der „Beschädigung des Einflusses und des Ansehens ihrer öffentlichen Posten.“ Mit fünf zu zwei Stimmen habe der HSYK deswegen beschlossen, die Juristen vom Dienst zu entheben, meldet die Nachrichtenagentur DHA.

Beurlaubt hatte der HSYK die fünf Männer bereits im Dezember vergangenen Jahres. Außerdem lief ein Disziplinarverfahren gegen die Staatsanwälte und den Richter. Staatsanwalt Öz bezeichnet die aktuelle Entscheidung des Rats auf Twitter umgehend als „null und nichtig“. „Schande auf den HSYK dafür, auf Anweisung von Oben zu handeln, das Gesetz und die Verfassung zu brechen und nicht einmal unsere Aussagen anzuhören“, schreibt er.

Korruptionsverfahren inzwischen eingestellt

Die Juristen hatten im Dezember 2013 mit ihren Ermittlungen international für Aufsehen gesorgt, als sie unter anderem gegen Ministersöhne der islamisch-konservativen AKP-Regierung ermittelten. Auch der Sohn des damaligen Ministerpräsidenten und heutigen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan stand unter Korruptionsverdacht.

Der Skandal erschütterte die Regierung und zwang vier Minister zum Rücktritt. Es wurden aber auch tausende Polizisten, Staatsanwälte und Richter, die an den Ermittlungen beteiligt waren, versetzt oder entlassen. Erdogan überstand den Skandal weitgehend unbeschadet und gewann im August die Wahl zum Präsidenten. Die eingeleiteten Korruptionsverfahren sind inzwischen alle „aus Mangel an Beweisen“ eingestellt.

Erdogan macht den in den USA lebenden Prediger Fethullah Gülen für die Korruptionsvorwürfe verantwortlich. Er beschuldigt ihn, Polizei und Justiz unterwandert zu haben und die Regierung stürzen zu wollen. Die früheren Verbündeten Gülen und Erdogan sind inzwischen Erzfeinde.

Weiterlesen…

DW Banner

Türkei/Ägypten: Annäherungsversuch zwischen Ankara und Kairo

(Bildquelle: Cihan)

Werden sich die Beziehungen zwischen Ankara und Kairo normalisieren? Die türkische Regierung hat einen kleinen Annäherungsversuch gestartet und nennt Mursi nur noch „ehemaligen Präsidenten“.

Nach dem Sturz des ägyptischen Präsidenten Muhammed Mursi im Sommer 2013 durch das Militär haben sich die Beziehungen zwischen Ankara und Kairo verschlechtert. Die Regierung des neuen Präsidenten und ehemaligen Generalstabschefs, Abdel Fattah al-Sisi, ließ im April sogar einen wichtigen Vertrag mit der Türkei auslaufen, der es türkischen Schiffen erlaubte, einen ägyptischen Hafen als Umschlagplatz zu benutzen.

Seit dem Putsch hatte das Außenministerium in Ankara Mursi deutlich als „gewählten Präsidenten“ bezeichnet. Inzwischen scheint Ankara zurückzurudern und verwendet für Mursi den Zusatz „ehemaligen Präsidenten“. Beobachter werten dies als einen diplomatischen Schritt um die Beziehungen beider Staaten zu normalisieren. Am 22. April hatte das Außenministerium in einer Mitteilung erstmals das Gerichtsurteil gegen den „ehemaligen“ Präsidenten und 20 weitere ehemalige Funktionäre verurteilt.

Offenbar versucht Ankara schon seit längerer Zeit die Wogen mit der ägyptischen Regierung zu glätten. Vergangenen September hatten die Außenminister beider Staaten angekündigt, dass es ein Treffen geben werde. Dazu kam es allerdings nicht. Beide Seiten hatten beteuert, dass die Gegenseite um eine Aussprache gebeten hatte.

Hinter den Kulissen munkelt man, dass Saudi-Arabien hinter dem Annäherungsversuch steht. Riad gilt als größter Unterstützer der neuen ägyptischen Regierung von al-Sisi. Die saudische Führung versucht derzeit eine Allianz gegen die Aufständischen im Jemen sowie gegen das iranische und syrische Regime zu schmieden.

Weiterlesen…

dtjbanner

Türkei/Syrien: Brandanschlag auf syrische Flüchtlinge in Istanbul

(Bildquelle: Orhan Cicek/Anadolu Agency)

Tausende Syrer fliehen in die Türkei – nicht immer sind sie wilkommen. In Istanbul haben Einheimische eine Asylunterkunft angezündet. Anwohner versuchten sogar, die Feuerwehr vom Löschen abzuhalten.

Im europäischen Teil Istanbuls haben Einheimische ein Haus und mehrere Läden von syrischen Flüchtlingen angezündet. Dem Brandanschlag im Viertel Güvercintepe sei ein Streit zwischen türkischen und syrischen Kindern vorausgegangen, bei dem ein türkisches Kind verletzt worden sei, berichtete die Zeitung „Hürriyet“.

Niemand sei infolge der Brände verletzt worden. Die Anwohner hätten die anrückende Feuerwehr zunächst davon abgehalten, das Feuer zu löschen.

Viele Viertel überfordert

Der Ortsvorsteher Ibrahim Dinc sagte der „Hürriyet“, die Situation im Viertel sei angespannt. Von 50.000 Einwohnern seien 10.000 Syrer. Die Mieten seien in den letzten drei Jahren um mehr als 50 Prozent gestiegen und die Arbeitslosigkeit sei hoch.

Nach Angaben des Flüchtlingshilfswerks UNHCR hat die Türkei rund 1,8 Millionen syrische Flüchtlinge aufgenommen.

Weiterlesen…

Steht die arabische Welt vor einem „Dreißigjährigen Krieg“?

(Bildquelle: dtj)

Steht die arabische Welt vor einem neuen „Dreißigjährigen Krieg“? Diese These stellt Rainer Herrmann von der FAZ in seiner neuen Publikation „Endstation Islamischer Staat?“ auf.

Die arabische Welt steht vor einem „Dreißigjährigen Krieg“. So lautet zumindest die These des FAZ-Redakteurs Rainer Hermann in seiner neuen Publikation „Endstation Islamischer Staat?“. Darin befasst sich Hermann, langjähriger Korrespondent in Istanbul und Abu Dhabi, mit den Folgen von Staatszerfall in der arabischen Welt und den gravierenden Konsequenzen des IS-Terrors für die Region. Er zieht eine beängstigende Bilanz: Demnach stehe die arabische Welt möglicherweise vor einem „Dreißigjährigen Krieg“.

Der Dreißigjährige Krieg in Europa

Zwischen 1618-1648 tobte in Westeuropa ein religiöser, konfessioneller und machtpolitischer Konflikt, der Tausenden Menschen das Leben kostete und weitflächige Verwüstungen auf dem ganzen Kontinent, insbesondere auf deutschem Terrain, verursachte. Der Dreißigjährige Krieg begann zwar als Konflikt zwischen Protestanten und Katholiken, doch entwickelte er sich schnell zu einem Stellvertreterkrieg verschiedener europäischer Länder und Dynastien, der in Deutschland ausgetragen wurde. Erst nach drei Jahrzehnten täglichen Blutvergießens haben die Konfliktparteien es verstanden, Grundsätze zu vereinbaren, die einen langfristigen Frieden vertraglich regelten. Der Westfälische Frieden beendete den Dreißigjährigen Krieg in Deutschland und führte Regularien ein, die das internationale Staatensystem und die zwischenstaatlichen Beziehungen auch heute noch regeln.

Parallelen zum Dreißigjährigen Krieg

Nun behauptet Rainer Hermann, dass rund vier Jahrhunderte später auch der arabischen Welt womöglich ein ähnlich zerstörerischer Krieg bevorsteht. Seine These verdient fraglos Beachtung, da der gegenwärtige Zustand der arabischen Welt tatsächlich einige Parallelen zu jenem Konflikt aufweist, der Westeuropa in Schutt und Asche legte. Demnach sei Deutschland das Schlachtfeld im Dreißigjährigen Krieg Europas gewesen, heute sei Syrien der Ort, an dem der zeitgenössische „Dreißigjährige Krieg“ geführt werde. Zudem sei nicht Nationalismus die Ursache für die Konflikte im Nahen Osten, sondern Konfessionalismus, wie in den Jahren 1618-1648, so Hermann. Damals sammelten sich die Parteien unter der Protestantischen Union und der Katholischen Liga, heute spreche man vom sunnitischen Block und schiitischem Lager. Im Dreißigjährigen Krieg waren nahezu alle damals wichtigen Länder West- und Mitteleuropas in den Konflikt involviert. Heute sind alle Staaten des Nahen Ostens in die Konflikte im Irak und Syrien verwickelt, zusätzlich auch die globalen Akteure. Allerdings sieht Hermann die Existenz des IS als wichtigen Unterschied zum eigentlichen Dreißigjährigen Krieg.

Realistisches Szenario?

Auch wenn vieles dafür zu sprechen scheint, ist es fraglich, ob Hermanns These ein realistisches Szenario für die arabische Welt ist. Nehmen wir für einen Moment an, dass die arabische Welt in einen „Dreißigjährigen Krieg“ verfällt, so wäre dies einerseits eine Katastrophe für die Regionalmächte Iran, Saudi-Arabien und Türkei und andererseits eine große Herausforderung für die globalen Akteure, insbesondere für die Europäische Union. Die drei Regionalmächte, die seit Ausbruch der arabischen Revolte in die Konflikte verwickelt sind, müssten auch weiterhin großen wirtschaftlichen und politischen Aufwand leisten, der irgendwann zur Erschöpfung der eigenen Ressourcen führen würde. Der Iran könnte durch seine Unterstützung schiitischer Minderheiten an bestimmten regionalen Flecken seinen Machtbereich zwar ausbauen, doch würde Teheran seinen Kredit in der mehrheitlich sunnitisch geprägten arabischen Welt komplett verspielen. Saudi-Arabien hingegen würde sich mitten im Schlachtfeld wiederfinden. Die umkämpften Gebiete im Irak und im Jemen sind nur noch ein Steinwurf vom saudischen Hoheitsgebiet entfernt.

Regionale und globale Akteure

Auch die Türkei wäre von einem solchen Flächenbrand nicht sicher. Die kurdischen Sezessionsbestrebungen könnten dadurch an Fahrt gewinnen. Kurzum, die Regionalmächte wären gezwungen, sich zu einigen und die regionalen Störfaktoren gemeinsam zu beseitigen, da ein langfristig gewaltsam ausgetragener Konflikt in der Region die Nationalinteressen aller gefährden würde. Die Europäische Union wäre gezwungen, seinen Beitrag zur Konfliktlösung zu leisten, da es ansonsten mit hohen Flüchtlingswellen rechnen müsste. Zudem bestünde die Gefahr, dass die emotional geführten konfessionellen und religiösen Konflikte im Nahen Osten auch zunehmend in Ländern wie Deutschland und Frankreich zu einem innenpolitischen Problem werden könnten. Denn die Konflikte im Nahen Osten haben inzwischen einen solchen Radius erreicht, dass sie selbst in Westeuropa Gesellschaften und Minderheiten polarisieren. Deshalb ist es fraglich, ob zum einen regionale Akteure und zum anderen globale Akteure einen „Dreißigjährigen Krieg“ im Nahen Osten zulassen würden.

Gemeinsam Lösungen finden, bevor es zu spät ist

Vielleicht ist es auch nur die Hoffnung, die hier zum Ausdruck kommt. Doch Hermanns These bietet auf jeden Fall eine gute Gelegenheit für die Konfliktparteien, das eigene Handeln selbstkritisch zu hinterfragen. Die staatlichen Akteure und die Menschen im Nahen Osten müssen einsehen, dass eine konfessionell und religiös motivierte Politik am Ende in eine Sackgasse führt. Die Region ist zu vielfältig, die Demographie zu heterogen, als dass diese Politik Erfolg versprechen würde. Wenn die Akteure im Nahen Osten tatsächlich an einem Frieden interessiert sind, führt kein Weg am Konsens vorbei. Die Akteure sind gezwungen, sich auf Augenhöhe zu begegnen, die Vielfalt der Region zu berücksichtigen und sich auf gemeinsame Regularien zu einigen, bevor es zu spät ist. Die konfliktgeladene Geschichte Europas kann dabei eine wertvolle Lehrstunde bieten. Insbesondere der Wandel der deutsch-französischen Beziehungen seit den Napoleonischen Kriegen bis zur Europäischen Integration, könnte den rivalisierenden Staaten des Nahen Ostens ein Beispiel liefern, wie so etwas funktionieren kann.

Weiterlesen…

dtjbanner

Türkei: Erdogans Angst vor Stimmenverlust

(Bildquelle: picture-alliance/AP Photo)

Am 7. Juni wählt die Türkei ein neues Parlament. Der Regierungspartei AKP drohen Verluste. Staatspräsident Erdogan rührt daher kräftig die Werbetrommel für die AKP – und ignoriert damit die Verfassung.

Bisher ging es für die im Jahr 2001 gegründete AKP bei Parlamentswahlen immer nur nach oben. Nachdem ihr im Jahr 2002 rund 34 Prozent der Stimmen zur absoluten Mehrheit der Mandate im Parlament und damit zur Regierungsübernahme genügten, legte sie 2007 auf 46 Prozent und 2011 sogar auf fast 50 Prozent zu. Diesmal könnte es anders sein. Die Umfragen sehen die islamisch-konservative Partei zwar wieder einmal weit vor der Konkurrenz, die meisten Befragungen siedeln sie aber lediglich zwischen 40 und 45 Prozent an.

Auf den ersten Blick ist das für eine Partei, die seit mehr als zwölf Jahren an der Macht ist, ein stolzes Ergebnis. Doch in der AKP herrscht keinerlei Feierlaune. Denn ein Sieg allein reicht Erdogan nicht. Der 61-Jährige, der auch nach dem Wechsel ins höchste Staatsamt der entscheidende Mann in Partei und Regierung geblieben ist, will im neuen Parlament eine Mehrheit von mindestens 330 der 550 Abgeordneten zusammenbekommen. Anschließend will er per Verfassungsänderungen ein Präsidialsystem einführen – mit ihm selbst an der Spitze, versteht sich. Doch davon ist die AKP derzeit weit entfernt. Selbst mit ihrem Traumergebnis von 2011 erhielt sie nur 326 Mandate.

Erdogan stürzt sich wieder ins Getümmel

Zu dem in den Umfragen prognostizierten klaren Abwärtstrend der AKP kommt ein weiteres Problem für die Partei hinzu: Sollte die Kurdenpartei HDP den Sprung über die Zehn-Prozent-Hürde für den Parlamentseinzug schaffen, wäre möglicherweise sogar die absolute Mehrheit der AKP im Parlament in Gefahr. All das hat den Präsidenten dazu bewogen, sich wieder ins Getümmel des Wahlkampfs zu stürzen. Mehr als 30 Veranstaltungen will Erdogan bis zum Wahltag absolvieren. An diesem Sonntag wirbt er bei einem Besuch in Karlsruhe zudem um die Stimmen der türkischen Wähler in Deutschland.

Die Opposition sieht in Erdogans Verhalten einen klaren Verstoß gegen die von der Verfassung vorgegebenen Regeln für das Amt des Staatspräsidenten. Er soll sich aus der Tagespolitik heraushalten und darf auch kein Mitglied einer politischen Partei sein.

„Ich werde nicht außen vor bleiben“

Erdogan setzt sich jedoch über das Neutralitätsgebot hinweg. Der Präsident ist ein brillanter Wahlkämpfer und schiebt den AKP-Vorsitzenden und Ministerpräsidenten Ahmet Davutoglu mit seiner Präsenz zur Seite. Angesichts der Bedeutung der Juni-Wahl erwarte wohl niemand, „dass ich außen vor bleibe“, sagte Erdogan am Freitag.

Damit breche Erdogan ganz offen die Verfassung, sagt der Journalist Yavuz Baydar im Gespräch mit der DW. Baydar erkennt bei Erdogan und der AKP seit Wochen „offensichtliche Zeichen der Panik“. Die Regierungspartei verliere Wähler und habe bisher kein Gegenrezept gefunden. Dabei spiele unter anderem die Wirtschaftslage eine Rolle. In den vergangenen Monaten schwächte sich das Wachstum ab und die Arbeitslosigkeit stieg an.

Unbehagen über Erdogans Verhalten

Ob Erdogan den Trend stoppen kann, ist ungewiss. Selbst im Lager der AKP-Anhänger gebe es ein gewisses Unbehagen über Erdogans Missachtung der Regeln für das Präsidentenamt, sagt der Kolumnist Semih Idiz im Gespräch mit der DW. „Sie fragen sich, ob das ein Vorgeschmack auf das Präsidialsystem ist, wenn Erdogan machen kann, was er will.“ Möglicherweise wanderten konservative AKP-Wähler deshalb zur nationalistischen MHP („Partei der Nationalistischen Bewegung“) oder zu kleineren islamischen oder rechtsnationalen Parteien ab.

Nach einigen Wahlprognosen könnte sich die AKP nach der Wahl zu einer Koalition oder einer punktuellen Zusammenarbeit mit anderen Parteien im Parlament gezwungen sehen. Dies gilt vor allem für den Fall, dass die HDP in die Volksvertretung einzieht.

Weiterlesen…

DW Banner

Türkei: Früherer Generalstabschef und Putschist ist tot

(Bildquelle: AMEPRES/youtube/euronews-screen/mag)

Der frühere Generalstabschef und Anführer des Militärputsches von 1980 in der Türkei, Kenan Evren, ist im Alter von 97 Jahren in Ankara gestorben.

Kenan Evren, der frühere Generalstabschef und Anführer des Putsches von 1980, ist im Alter von 97 in Ankara gestorben. Am Samstag wurden nahe Familienangehörige und Anwälte des Verstorbenen in die militärische Akademie Gülhane gerufen. Evren, der sich seit 2012 in der militärischen Klinik in Behandlung befand, war zuletzt gesundheitlich in einem kritischen Zustand und konnte nur mit Hilfe von Beatmungsgeräten am Leben erhalten werden.

Militärputsch 1980

Nach Unruhen Ende der 70er Jahre, vor allem den Auseinandersetzungen zwischen linken und rechten Gruppen, hatte der seit 1978 amtierende Generalstabschef Kenan Evren am 12. September 1980 einen militärischen Putsch in der Türkei durchgeführt. Er selbst verlas in einer Rede die Gründe für den Putsch. „Die Streitkräfte waren gezwungen, die Macht zu übernehmen, (…) um die Demokratie auf ein sicheres Fundament zu führen, die nicht mehr in der Lage war, sich selbst zu kontrollieren und um die verloren gegangene Staatsautorität wieder herzustellen“, so Evren in der Rede.

Nach dem Putsch hatte Evren die Regierung und das Parlament aufgelöst. Mit einem Volksentscheid wurde am 07. November 1982 eine neue Verfassung in der Türkei eingeführt. Kenan Evren war bis 1989 der siebte Staatspräsident der Türkei.

Insgesamt wurden in der vom Militär geführten Türkei 650.000 Menschen verhaftet, 1.683.000 kamen auf eine „Schwarze Liste“, in 210.000 Verfahren wurden 230.000 Menschen verurteilt, 517 bekamen die Todesstrafe. Bei 50 Personen wurde die Todesstrafe vollzogen.

Verurteilung zur lebenslangen Haft

Am 18. Juni 2014 kam es dann zu einer Verurteilung Evrens, nachdem die Immunitätsregelung durch eine Volksabstimmung 2010 aufgehoben wurde. Neben Kenan Evren wurde auch der ehemalige Luftwaffenchef, Tahsin Şahinkaya, für den Putsch von 1980 durch ein Schwurgericht in Ankara zur lebenslangen Haft verurteilt.

Weiterlesen…

dtjbanner

Türkei/Deutschland: Mehr als 14 000 Menschen feiern Erdogan in Karlsruhe

(Bildquelle: dpa)

Karlsruhe – Knapp zwei Monate vor der Parlamentswahl in der Türkei hat Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan die in Deutschland lebenden Bürger zur Stimmabgabe aufgerufen.

Vor mehr als 14 000 Zuhörern forderte der islamisch-konservative Politiker die in Deutschland lebenden Menschen mit türkischen Wurzeln dazu auf, sich in der Bundesrepublik zu integrieren, dabei aber die Werte, die Religion und die Sprache ihrer Heimat zu bewahren. „Je stärker unser Zusammenhalt in der Welt, umso stärker sind wir alle“, sagte Erdogan.

Die Menge feierte den Präsidenten begeistert mit einem Meer aus Fahnen und Sprechchören. „Wir lieben dich, Erdogan, wir sind stolz auf Dich“, riefen die Zuhörer. Sie streckten die Hand zum Rabia-Zeichen aus: Die vier ausgestreckten Finger mit eingeklapptem Daumen entstanden in der Protestbewegung der ägyptischen Muslimbruderschaft gegen die Streitkräfte; das Symbol wird auch von islamisch-politischen Gruppen in der Türkei verwendet.

„Die Wahlurne ist eure Waffe“, rief Erdogan aus, der von Karlsruhe aus in die belgische Stadt Hasselt weiterreisen wollte. Ohne direkt zur Wahl der islamisch-konservativen Regierungspartei AKP aufzurufen, sprach der langjährige Regierungschef von Erfolgen der AKP-Regierungszeit wie erneuerten Straßen und mehr Lebensqualität in den Städten.

Die im Ausland lebenden Türken könnten ab Freitag in den Konsulaten wählen, bis zum 31. Mai. „Niemand kann euch überhören in der Welt, wenn ihr wählt“, rief Erdogan aus, „auch nicht diejendigen, die in der EU eine Schweigeminute für Armenier eingelegt haben, können euch ignorieren.“ Bei diesem Bezug auf das Gedenken an den Massenmord an Armeniern vor 100 Jahren, brachen die Zuhörer in Buhrufe aus.

Vor der Messehalle in Rheinstetten bei Karlsruhe protestierten bis zu 4000 Menschen gegen Erdogan. Dabei kam es zu Zusammenstößen mit Erdogan-Anhängern, die in der überfüllten Halle keinen Platz mehr fanden. Diese verprügelten nach Polizeiangaben eine Gruppe von Sympathisanten der Kurdischen Arbeiterpartei (PKK). Mehrere Menschen seien verletzt worden, sagte ein Polizeisprecher. Zwei Versammlungsteilnehmer wurden festgenommen. Auch beim Abmarsch von Erdogan-Anhängern kam es zu kleineren Rangeleien zwischen beiden Seiten, die ansonsten von starken Polizeikräften auf Distanz gehalten wurden.

Die Opposition wirft Erdogan vor, wenige Wochen vor der türkischen Parlamentswahl am 7. Juni Wahlkampf für die AKP zu betreiben.

Weiterlesen…

tonlinebanner